Menschen mit Behinderungen und Assistenzen protestieren gegen mangelnde Tarifrefinanzierung
Während sich der Berliner Senat öffentlich zur Inklusion bekennt, herrscht unter Menschen mit Behinderungen und ihren Assistenzen in Berlin Alarmstimmung. Die Persönliche Assistenz im sogenannten Arbeitgeber*innen-Modell – eine zentrale Säule für ein selbstbestimmtes Leben – steht vor dem Zusammenbruch.
Der Berliner Senat weigert sich, den zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Arbeitgeberverband AAPA e.V., der Arbeitsgemeinschaft der behinderten Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz geschlossenen Tarifvertrag neuzufinanzieren. Bereits seit Februar 2025 verdienen Persönliche Assistenzen in diesem Modell monatlich rund 340 Euro weniger als Kolleg*innen bei etablierten Assistenzdiensten. Die Inflationsprämie blieb ihnen bislang auch noch verwährt. Ab 2026 wird sich dieser Lohnunterschied noch mal vergrößern, weil der Senat dann nur noch die Entgeltgruppe drei anstatt fünf zahlt.
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
So lautet die zentrale Forderung der Assistenzen und der Arbeitgeber*innen mit Behinderung. Gemeinsam protestierten sie seit dem 22. April werktags von 11 bis 16 Uhr vor der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung in der Oranienstraße. Bis zum 28. Mai machten sie mit einer täglichen Mahnwache auf ihre Lage aufmerksam und fordern mit Unterstützung von der Gewerkschaft ver.di die sofortige Anerkennung und Refinanzierung des Tarifvertrags.
Die Beteiligten kündigen bereits weitere Protestmaßnahmen an, sollte es zu keiner Bewegung kommen. Sie warnen eindringlich vor den Folgen, wie etwa dem wachsenden Lohnunterschied, der Abwanderung von Personal und einen zunehmenden Personalmangel. Das hätte direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen.
„Wenn ich keine Assistenzen mehr finde, kann ich nicht mehr arbeiten, keine Termine wahrnehmen, nicht mehr selbstbestimmt leben“, erklärte eine Teilnehmerin der Protestaktion. Eine Assistenzperson stellte fest: „Eine Rückstufung des Lohns ist auch eher unüblich.“
Mahnwache zeigte Aufmerksamkeit
Die Persönlichen Assistenzen und die Arbeitgeber*innen mit Behinderung haben sich organisiert. So ist ein „Schichtplan“ entstanden. Dieser Plan sorgte dafür, dass täglich mindentens zwei Personen bei der Mahnwache anwesend waren und Präsenz zeigten.
Das zeigte Wirkung. Sowohl Passant*innen, Mitarbeiter*innen und Politiker*innen wurden zunehmend durch die ständige Präsenz aufmerksam. Die amtierende Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Christine Braunert-Rümenapf sowie die Referentin Dr. Meike Nieß kamen beide zu einem kurzen Gespräch und meinten: „Uns ist das Problem bekannt. Wir können aber nichts entscheiden“.
Außerdem kam Uwe Orlowski von der Schlichtungsstelle der Senatsverwaltung vorbei und wollte verstehen, warum die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung den Tarifvertrag blockiert. Er interessierte sich, versteht es aber auch nicht. Die Senatorin Cansel Kiziltepe von der SPD ist auch einmal zufällig vorbeigekommen und hat sich auf ein kurzes Gespräch eingelassen. Sie wies darauf hin, dass die Mahnwache hier falsch sei und dass der Protest an die Senatsverwaltung für Finanzen um Stefan Evers (CDU) gerichtet werden sollte. „Die Senatsverwaltung Arbeit, Soziales und Gleichstellung sei für die Refinanzierung des Tarifvertrags nicht zuständig.“ Beim vorläufigen Abschlussfest am 28. Mai konnte zufällig Finanzsenator Stefan Evers abgefangen werden. Am Ende dieses kurzen Gesprächs sagte er: „Ach, in diesem Modell gibt es weniger Geld. Das ist mir neu. Aber eine Expertengruppe ist dran.“
Bei weiteren Begegnungen mit Cansel Kiziltepe kam es dann nur noch zu einem „Hi“ oder auch mit Ignoranz. Auf der Kundgebung zum Protesttag am 5. Mai kam das Thema in einem Gespräch mit Cansel Kiziltepe auch zur Sprache. Das Fazit am Ende zu dieaem Thema lautete: „Bis zum Jahresende gibt es eine Lösung.“ Aber wie genau eine Lösung aussehen könnte, lies die Senatorin offen.
„Eine Lösung kann alles heißen“, meinen die Teilnehmenden der Mahnwache. Beispielsweise auch, die Assistenzen wieder nach der Entgeltgruppe drei zu bezahlen. Mehr Interesse zeigten Katina Schubert und Elke Breitenbach von der Linken sowie Catrin Wahlen von den Grünen. Alle drei unterstützen bereits seit Langem das Arbeitgeber*innen-Modell und kamen auch zur Mahnwache. Catrin Wahlen antwortete auf eine Einladungsmail: „Spannende und krasse Aktion“. Ob diese Protestaktion etwas brintgt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall sorgt sie für Aufmerksamkeit – hoffentlich auch hinter den Kulissen der Senatsverwaltungen.
Trotz mehrfacher Appelle und Gesprächsanfragen blockieren sowohl die Senatorin Cansel Kiziltepe und Staatssekretär Aziz Bozkurt den Tarifvertrag. „Wir werden weiter nerven“, so die Vereinbarung aller Beteiligten.
Informationen
Die Persönliche Assistenz im Arbeitgeber*innen-Modell gilt als kostengünstigere und inklusivere Alternative zu klassischen Assistenzdiensten. Wenn das Arbeitgeber*innen-Modell in den nächsten Jahren mit dem geforderten Tarifvertrag finanziert werden würde, spart das Land Berlin mit diesem Modell rund zwölf Millionen pro Jahr.